„Es gibt ein Problem im Stadtbild.“ Ein Satz, der klingt wie aus einem Architekturbericht – und doch stammt er vom Bundeskanzler, mitten in einer Debatte über Migration. Was folgt, ist keine Klarheit, sondern ein Sturm der Interpretationen: Wer ist gemeint? Was genau ist das Problem? Und warum wird ein gesellschaftlich hochsensibles Thema in eine so vage Form gegossen?
Die eigentliche Kontroverse beginnt nicht mit dem Inhalt, sondern mit der Art der Kommunikation. Wenn ein Regierungschef ein konkretes Problem – etwa mit Menschen ohne Aufenthaltsrecht, ohne Arbeit, ohne Regelakzeptanz – ansprechen will, warum wählt er dann eine Formulierung, die alles und nichts bedeuten kann? Warum spricht er nicht über „Rechtsstaatlichkeit“ oder „Integrationsdefizite“, sondern über das „Stadtbild“ – ein Begriff, der zwischen Stadtplanung, Ästhetik und unterschwelliger Ausgrenzung oszilliert?
„Leitkultur“ reloaded?
Als Friedrich Merz 2025 vom „Problem im Stadtbild“ sprach, erinnerte das viele an die Debatte um die „Leitkultur“, die Anfang der 2000er Jahre von CDU-Politikern wie Jürgen Rüttgers und später auch Merz selbst angestoßen wurde. Auch damals ging es um Integration, Werte und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und auch damals war die Wortwahl so vage, dass sie mehr Fragen aufwarf als beantwortete:
- Was genau ist mit „Leitkultur“ gemeint?
- Wer definiert sie?
- Und wer gehört dazu – oder eben nicht?
Die Folge: Statt einer konstruktiven Debatte über gemeinsame Werte entstand ein Kulturkampf, der Gräben vertiefte und Polarisierung förderte.
Zerstört die aktuelle politische Rhetorik den Dialog?
Politische Kommunikation ist nie neutral. Sie setzt Rahmen, schafft Realitäten, grenzt ein – oder aus. Wer Begriffe wie „Stadtbild“ oder „Leitkultur“ in den Raum stellt, ohne sie klar zu definieren, überlässt ihre Deutung anderen: den Medien, den politischen Gegnern, den Populisten. Und genau darin liegt die Gefahr.
Denn in Zeiten wachsender Polarisierung, wachsender Unsicherheit und wachsender Desinformation braucht es keine weiteren Nebelkerzen. Es braucht Klartext. Nicht im Sinne von Lautstärke oder Härte – sondern im Sinne von Verantwortung: für das, was gesagt wird, und für das, was gesagt werden soll.
Was derzeit fundamental falsch läuft, ist nicht nur die Wortwahl, sondern das dahinterstehende Kommunikationsverständnis. Politik wird zunehmend als Inszenierung betrieben – mit Begriffen, die Aufmerksamkeit erzeugen, aber keine Orientierung bieten. Mit Aussagen, die Empörung auslösen, aber keine Lösungen skizzieren. Mit Sprache, die mehr spaltet als verbindet.
Wenn das so weitergeht, verlieren wir nicht nur das Vertrauen in einzelne Politiker – sondern in die Idee, dass Politik durch Sprache gestaltet werden kann. Und das wäre fatal. Denn Demokratie lebt vom Dialog. Und Dialog beginnt mit Worten, die verstanden werden wollen – nicht mit Begriffen, die verschleiern.

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